Die Ära Westing – eine erste Blüte des Seebades
Nach den Wirren im Gefolge der Französischen Revolution und der Rückgabe auch Wangerooges durch Russland an das Herzogtum Oldenburg entwickelte sich die Insel Anfang der 19. Jahrhunderts zu einem aufstrebenden Seebad. Dabei nahm insbesondere die Gattin des Geheimen Hofrates Westing aus Oldenburg – Bernhardine Samuele Westing – großen Einfluss auf diese Entwicklung. Der Hofrat war als Badekommissar zusammen mit dem Jeveraner Dr. Chemnitz als Badearzt 1829 durch den Oldenburger Großherzog Paul Friedrich August für die Sommermonate eingesetzt worden. Faktisch hatte allerdings die „Geheime Hofrätin“ die Abläufe im Seebad fast 25 Jahre fest in ihrer Hand.
Ein zeitgenössischer Bericht des damaligen Inselpastors erlaubt Einblicke in das Wirken der „Hofrätin“:
„Faktisch erscheint die Frau Geheime als die Präsidentin der ganzen Anstalt; sie ist die Vorsteherin des Hotels, der Küche, der Tafel; sie ist der Ceremonienmeister beim Empfang der hohen Badegäste vor dem Pavillon, und bei den Divertissements (Vergnügungen aller Art) der Gäste auf dem Coursaale; sie ist die souveraine Herrscherin unseres ganzen Badereiches. Daher umgiebt sie auch ein Hofstaat von 80 – 100 Dienern, in der Abstufung aller Chargen: Oberkellner, Hofkoch, Hofgärtner, Kammerdiener, Kammerkätzchen, Portiers und Lakaien, Secretairs, Rechnungsführer (…).
Nach der Ankunft offeriert sie den Gästen unter den Kratzfüßen gegenseitiger Compliments die Logis ihres Hotels, wie auch die Zimmer der Insulaner, und weiß mit dem Scharfblick eines Hotelbesitzers sowohl die passenden Zimmer zu wählen und zu empfehlen, als auch sie nach dem Dictat ihrer Gunstihnen anzuweisen (…).
Bei der Table d’hôte ist sie die Präsidentin des Tisches, sie eröffnet und hebt die Tafel mit dem Zauberstab ihrer Füße, denn selbst nach dem buchstäblichen Reglement der hohen Tafel ist das Scharren ihrer Füße das Zeichen zum Aufbruch (…).
Endlich ringt die Frau Geheime nach dem hohen Verdienste, die ‚maitresse des Plaisirs‘ zu sein; sie scheut keine Mühe des Geistes, stets freundlich und sinnreich die verschiedenen Divertissements der Gäste zu leiten (…).
Zu dem Genusse aller dieser Herrlichkeiten des Badens, der hohen Tafel, des Theedansants (Tanztee), der Wallfahrten, der Illuminationen und Feuerwerke, ferner zu dem Schauspiele des Seeleuchtens, daß indeß der alte Vater Neptun nur bei guter Laune aufführen läßt, ladet stets das Sturmgläut zweier Glocken ein (…).“
(in: Friedrich-Wilhelm Jürgens, Geschichte des Nordseebades Wangerooge 1804 – 1954, Jever 1954, S. 19ff.)